Biographische Informationen zu Johann N. Frers
Der folgende Beitrag ist entnommen aus dem Artikel:
Das Fach Chemie an der Hamburger Universität im "Dritten Reich", Jost Weyer -/- Herausgeber: Eckart Krause; Ludwig Huber; Holger Fischer
Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte 3 (3): Hochschulalltag im "Dritten Reich", Teil 3: Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät : Medizinische Fakultät : Ausblick : Anhang, 1119-1140 (1991), Verlag: Reimer, Hamburg
Ein Fall besonderer Art war die wissenschaftliche Laufbahn von Johann Nicolaus Frers (1895-1952).* Frers war in Halle promoviert worden und war seit 1923 Unterrichtsassistent am Chemischen Staatsinstitut in Hamburg. 1929 hatte er einen Antrag auf Zulassung zur Habilitation gestellt. Es hatte in der Fakultät aber Schwierigkeiten gegeben - insbesondere hatte sich Stern, der Physikochemiker, sehr entschieden gegen eine Habilitation ausgesprochen -, und schließlich war Frers' Antrag abgelehnt worden. Rabe, der in einem Schreiben an den Dekan Frers' Antrag befürwortet hatte, ließ darin einen kritischen Satz fallen: "Seine Tätigkeit außerhalb des Chemischen Staatsinstitutes nimmt ihn ungewöhnlich in Anspruch; sie hemmt ihn außerdem in seiner Entwicklung".* Damit waren zweifellos seine politischen Aktivitäten gemeint. Im Oktober unternahm Frers mit einer neuen Habilitationsarbeit einen zweiten Versuch, und dieses Mal schaffte er es: Im. Februar 1933 hielt er seine Antrittsvorlesung. Am 1.5.1933 wurde er Mitglied der NSDAP.*
Am 10.11.1935 richtete Frers ein Schreiben an die Fakultät, in dem er sich über die Behinderung seiner Arbeit als Privatdozent am Chemischen Staatsinstitut beschwerte. Remy hatte angeordnet, daß Frers infolge einer Umorganisation alle mit der quantitativen Analyse beschäftigten Praktikanten - d.h. die fortgeschrittenen Chemiestudenten - abgeben und stattdessen nur noch die qualitativ-analytisch arbeitenden Anfänger betreuen sollte. Alle übrigen Assistenten von Remy, die alle keine Privatdozenten und viel jünger als er - Frers - seien, hätten ein eigenes Arbeitszimmer, er aber nicht. Ausgerechnet der jüngste von ihnen solle die Betreuung der quantitativen Chemiker übernehmen. Frers beschwerte sich auch darüber, daß sich Remy praktisch überhaupt nicht um die Praktikanten kümmere, die Praktikumsgebühren aber allein einziehe, obwohl auch Frers Dozent sei. Er schreibt: "Ich glaube, daß es den Grundgedanken des heutigen Staates durchaus zuwiderläuft, wenn eine Arbeitsteilung auf der Grundlage statthat, daß der eine die Arbeit macht und ein anderer den Erlös dafür einzieht." Abschließend bat Frers die Fakultät, sich dafür einzusetzen, daß er eine selbständige Abteilung innerhalb der anorganischen Chemie bekomme, zumindest aber, daß er den für die quantitativen Chemiker neu eingerichteten Saal als Unterrichtsassistent übernehmen könne. Gespräche mit Schlubach und Remy seien ergebnislos verlaufen.* Die Fakultät lehnte offenbar Frers' Antrag ab, obwohl der Vorgang in den Fakultätsprotokollen nicht erwähnt wird. Frers stellte daraufhin an den Reichsdozentenführer in München den Antrag, den wenige Monate vorher als kommissarischen Direktor ernannten Schlubach aus seinem Amt zu entfernen. (Schlubach berichtet hiervon in seinem noch zu erwähnenden Brief vom Februar 1950.)
Als im November 1935 innerhalb der "Politischen Fachgemeinschaft der Fakultäten" die neugegründete Naturwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft ihre erste Sitzung abhielt, gehörte auch Frers zu den Teilnehmern. Wichtigste Ziele der 1933 gegründeten "Politischen Fachgemeinschaft" waren die "politische Erziehung in Zusammenarbeit von Dozenten und Studenten" und die "Förderung der politisch-wissenschaftlichen Zusammenarbeit der Fakultäten untereinander". In den ersten Sitzungen der Naturwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft gaben die Fachvertreter einen Überblick über ihr Fach und dessen Besonderheiten, verbunden mit dem Versuch einer weltanschaulichen Einordnung. Im Februar 1936 hielt Frers ein entsprechendes Referat über die Chemie. Im historischen Teil wiederholte er alle gängigen Klischees über den geschichtlichen Verlauf der Chemie, und im weltanschaulichen Teil versuchte er, die Chemie mit dem germanischen Mythos als ideologischer Basis und der Erhaltung der Rasse als wichtigem Ziel zu verknüpfen.*
Von November 1937 bis Mai 1939 war Frers Dozentenführer des NS-Dozentenbundes, in den letzten Monaten seiner Amtszeit stellvertretender Gaudozentenführer.* Sein Vorgänger als Dozentenführer war der am Botanischen Institut tätige außerordentliche Professor Irmscher, sein Nachfolger der Psychologe und außerplanmäßige Professor Anschütz. Am 28.5.1939 stellte Frers beim Reichserziehungsministerium einen Antrag auf Ernennung zum Dozenten neuer Ordnung. Die Fakultät befürwortete den Antrag, wie aus einem Schreiben des Dekans, Raethjen, vom 31.8. an den Reichsminister hervorgeht. Beigefügt waren dem Schreiben Gutachten von Schlubach, Remy und Möller, dem Angewandten Physiker, wobei die Gutachten von Schlubach und Remy nicht sehr positiv ausfielen, während das von Möller über Frers' Arbeiten ein wenig besser klang ("recht wichtig und erfolgreich").* Auch der Rektor, Gundert, befürwortete den Antrag in einem Schreiben vom 20.9. Er wies auf eine gewisse Zurückhaltung der Gutachter hin, betonte aber, daß sich Frers als Leiter der Dozentenschaft "um die politische Ausrichtung und innere Festigkeit der Universität besondere Verdienste erworben" habe.* Am 1.11.1939 wurde Frers, der sich seit Kriegsbeginn als Hauptmann eines Infanterie-Ersatzbataillons in Flensburg befand, vom Reichserziehungsminister zum Dozenten unter Berufung in das Beamtenverhältnis ernannt.
Unmittelbar darauf muß Frers, unter Ausnutzung seiner politischen Beziehungen, seine Ernennung zum außerplanmäßigen Professor betrieben haben. Am 7.3.1940 drängte Anschütz den Rektor Gundert, einen bindenden Beschluß der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät über die Ernennung von Frers zum außerplanmäßigen Professor herbeizuführen, und setzte eine Frist von zwei Wochen. Am 4.5. stellte Schlubach den gewünschten Antrag an die Fakultät, die auf ihrer nächsten. Sitzung am 29.5. zustimmte. Am 1.6. teilte der Dekan in einem ersten Schreiben, noch ohne Gutachten, dem Reichserziehungsminister mit, daß die Fakultät die Ernnenung von Frers zum außerplanmäßigen Professor beantrage. Die erforderlichen Gutachten sind einem zweiten Schreiben des Dekans an den Reichsminister vom 27.6. (auf dem Dienstweg über den Rektor, der den Antrag ebenfalls befürwortete) beigefügt.* Schlubach, Remy und Möller fertigten keine neuen Gutachten an, sondern legten die vom Vorjahr bei. Sehr positiv fiel das politische Gutachten von Anschütz aus:
"Der Dozent Dr. Frers muß in jeder Hinsicht politisch positiv bewertet werden. Es ergibt sich dies allein schon aus der Tatsache, daß er zwei Jahre lang Dozentenbundführer der Hansischen Universität gewesen ist. Frers hat seine politische Haltung schon seit langen Jahren und bereits lange vor der Machtergreifung klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht. Er hat niemals davor zurückgeschreckt, seine politische Weltanschauung offen zu vertreten, obgleich ihm dadurch mehr als einmal persönliche Ungelegenheiten erwachsen sind."*
Raethjen geht in seinem Antrag auf die eingeschränkte Anerkennung der wissenschaftlichen Leistungen von Frers in den Gutachten von Schlubach und Remy ein und versucht demgegenüber, das positivere Gutachten von Möller aufzuwerten. Er gibt zu, daß Frers "auf wissenschaftlichem Gebiet mehr hätte produzieren können, wenn er nicht längere Zeit in der Führung des hiesigen NS-Dozentenbundes sehr beschäftigt gewesen wäre". Der Antrag schließt mit den Worten:
"Es verdient auch erwähnt zu werden, daß Herr Dr. Frers bereits den Weltkrieg mitgemacht hat und jetzt seit Kriegsbeginn wieder im Felde steht, z.Zt. als Hauptmann der Reserve. Er ist also nicht nur in wissenschaftlicher und politischer Beziehung geeignet, ein Führer der studentischen Jugend zu sein, sondern auch hinsichtlich seiner Wehrhaftigkeit, welche er zweifelsfrei unter Beweis gestellt hat."*
Der Antrag hatte Erfolg; am 11.12.1940 wurde Frers durch den Reichserziehungsminister zum außerplanmäßigen Professor ernannt. Im Februar 1941 wurde er aus dem aktiven Wehrdienst entlassen bzw. zunächst beurlaubt und nahm seine Tätigkeit am Chemischen Staatsinstitut wieder auf, wo er eine Abteilung für Elektrochemie erhielt.
Die Beurlaubung vom Heeresdienst für das Sommersemester 1941 hatte Remy in einem an Schlubach als Direktor gerichteten Schreiben beantragt. Es sei für die fortgeschrittenen Studenten wichtig, Frers' Spezialvorlesung über Elektrochemie zu hören. Ferner sei Frers mit Forschungsarbeiten beschäftigt sei, die kriegswirtschaftliche Bedeutung haben könnten; so sei ihm ein Patent auf ein Verfahren zur Darstellung von Aluminiumoxyd erteilt worden.* Schlubach leitete den Antrag ohne Kommentar befürwortend an den Rektor weiter. Für das folgende Wintersemester war ein neuer Antrag erforderlich, und Regierungsrat Knull ließ telefonisch wissen, daß gegen eine Erneuerung des Antrags keine Bedenken bestünden. Schlubach war dieses Mal in einer inoffiziellen Stellungnahme, die er von Gut Oehe aus in einem Schreiben an Dr. Gaertner im Chemischen Staatsinstitut mitteilte, sehr zurückhaltend. Die Spezialvorlesung brauche nicht bereits im Wintersemester wiederholt zu werden, und es bestehe auch zur Zeit kein akuter Personalmangel im Institut. Außerdem habe Knull selbst gesagt, daß U.K.-Stellungs-Anträge auf das Allernotwendigste zu beschränken seien und daß die Wehrmacht auf Offiziere der Reserve, die durch Übungen mit der neuesten Wehrtechnik vertraut seien, größten Wert lege; dies treffe auf Frers zu.* Trotzdem wurde offenbar auch dieses Mal die Beurlaubung genehmigt.
Nach dem Krieg wurde Frers auf Anordnung der Militärregierung mit Wirkung vom 28.8.1945 entlassen, wogegen Frers Einspruch erhob. Die letzte Fakultätssitzung, an der er noch teilnahm, war die vom 1.9. Drei Jahre später, am 7.7.1948, traf der Berufungsausschuß - nachdem Frers zweifellos erneut Berufung eingelegt hatte - folgende Entscheidung: Gegen die Tätigkeit von Frers in der freien Wirtschaft bestehen keine Bedenken, er darf jedoch bis Ende 1953 nicht in einer Lehrtätigkeit an einer deutschen Universität beschäftigt werden. Er wird unter Zubilligung einer Teilpension in den Ruhestand versetzt; die Vermögenssperre wird aufgehoben. Frers wird in die Kategorie IV (Mitläufer) eingestuft (offenbar war er zunächst beim Entnazifizierungsverfahren in die Kategorie [Minderbelastete] gekommen).*
Am 26.1.1950 teilte die Hochschulabteilung in einem Schreiben an den Rektor, Harteck, mit, daß der Berufungsausschuß eine Wiederaufnahme des Verfahrens Frers angeordnet habe, und bat um Stellungnahme durch den Universitätssenat. Zur Vorbereitung der Stellungnahme erstellten Schlubach als Direktor des Chemischen Staatsinstituts und Remy als Dekan ein Gutachten, in dem manches über die Hintergründe des Falles Frers sichtbar wird. Schlubach hatte bei seinem Gutachten Einsicht in Akten, die heute nicht mehr auffindbar sind, und nahm zu darin enthaltenen Behauptungen Stellung. Frers hatte u.a. behauptet, daß Schlubach Rabe aus seinem Amt verdrängt habe, um sich an seine Stelle zu setzen. Schlubach schreibt zur Entlassung Rabes:
"wie ich erst viele Jahre später erfahren habe, ist dies erfolgt, weil er Freimaurer gewesen war und weil von studentischer Seite von ihm über den Nationalsozialismus gemachte abfällige Bemerkungen nach Berlin berichtet waren."
Schlubach war also selbst nach dem Krieg über die Ursache von Rabes Entlassung falsch informiert. Schlubach bekam auch einen, wie er sagt, vors Verleumdungen und Entstellungen übelster Art strotzenden Antrag von Frers an den Reichsdozentenführer in München zu sehen, Schlubach aus dem Amt zu entfernen, nachdem Frers' Antrag auf die Errichtung einer selbständigen Abteilung abgelehnt worden war. Schlubach widersprach der Behauptung des beratenden Ausschusses der Universität, Frers habe aus seiner Tätigkeit als Dozentenführer keinerlei Nutzen zu seinem persönlichen Vorteil gezogen. Genau das Gegenteil sei der Fall, denn Schlubach habe sich erst nach langem Zögern auf den von Anschütz ausgeübten Druck dazu entschlossen, die Ernennung von Frers zum außerplanmäßigen Professor zu beantragen. Nicht nur wissenschaftlich, sondern auch charakterlich entspreche Frers nicht den Anforderungen eines Professors. Er habe in seinem Antrag vom 13.6.1949 das Professorenkollegium als eine extreme Schiebergesellschaft dargestellt; ein solches Kollegium, so sagt Schlubach, lege wohl kaum Wert darauf, ihn in seinen Kreis aufzunehmen. Es sei nicht zu verantworten, eine Persönlichkeit mit derartigen Ansichten der akademischen Jugend amtlich als Lehrer zu bestellen.*
Remy brachte in seinem Gutachten einige weitere Aspekte. Nach seiner Aussage hatte Frers vor seiner Habilitation den Praktikumsunterricht der Chemiestudenten in durchaus zufriedenstellender Weise durchgeführt, schlug dann aber einen Weg ein, der, wie Remy sagt, auf die Arbeitsweise der Studierenden einen ungünstigen Einfluß haben mußte. Remy schränkte daher Frers' Wirkungskreis im Praktikum ein, und, nachdem er erkannt hatte, daß Frers im Praktikum auf die Dauer unbrauchbar war, hätte er gern die Kündigung seines Assistentenverhältnisses beantragt, wenn nicht die politischen Verhältnisse dies unmöglich gemacht hätten. So verdankte Frers nach Aussage Remys die Fortdauer seines Anstellungsverhältnisses bis 1945 nur dem Umstand, daß er neben seiner Parteizugehörigkeit zeitweilig ein wichtiges politisches Amt, die Leitung des NS-Dozentenbundes, bekleidete und ihn mit seinem Vorgänger und Nachfolger in diesem Amt - Irmscher und Anschütz - ein enges Freundschaftsverhältnis verband. Auch Schlubach habe die Ernennung von Frers zum außerplanmäßigen Professor nur deshalb beantragt, da ihm sonst politische Schwierigkeiten erwachsen wären. Schlubach habe dann, nach Frers' Ernennung, für ihn eine Abteilung für Elektrochemie eingerichtet, da dies unter den damaligen politischen Verhältnissen die einzige Möglichkeit gewesen sei, Frers' Betätigung im Chemischen Staatsinstitut, so weit es ging, unschädlich zu machen; eine sachliche Notwendigkeit für die Einrichtung einer solchen Abteilung sei nicht gegeben gewesen. Remy schließt sein Gutachten mit den Worten: "Eine Wiedereinstellung in irgendein Dienstverhältnis zum Chemischen Staatsinstitut halte ich im Interesse der geordneten Ausbildung der Studierenden für absolut untragbar."*
Harteck schloß sich nach Stellungnahme der Fakultät am 1.4.1950 voll dem Urteil und der Argumentation von Schlubach und Remy an und verwandte in seinem Schreiben große Teile aus den beiden Gutachten. Am 21.7. teilte die Hochschulabteilung dem Rektor mit, daß der Berufungsausschuß im Wiederaufnahmeverfahren am 5.5. Frers in die Kategorie V (Entlastete) eingestuft habe. Gleichzeitig hieß es, daß Frers nach einem amtsärztlichen Gutachten als dauernd dienst- und berufsunfähig anzusehen sei und daß ihm als Vorausleistung auf die gemäß Artikel 131 des Grundgesetzes zu erwartende bundesrechtliche Regelung die gesetzlichen Versorgungsbezüge gewährt würden.*
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