Laudatio auf Herrn Professor Dr. Dr. hc multi Hansjörg Sinn
Laudatio auf Herrn Professor Dr. Dr. hc multi Hansjörg Sinn, Clausthal-Zellerfeld, anlässlich der Verleihung der Joachim Jungius-Medaille
Professor Dr. Walter Kaminsky, Hamburg 27. November 2004
Herr Präsident, Herr Staatsrat, sehr verehrter lieber Herr Sinn, meine sehr geehrten Damen und Herren,
gemäß Satzung verleiht die Joachim Jungiusgesellschaft der Wissenschaften die Joachim Jungius-Medaille „zur Würdigung herausragender Leistungen in Wissenschaft und Forschung“. Heute kommt diese hohe Ehrung auf Beschluss von Vorstand und Mitgliederversammlung Hansjörg Sinn zu, einem Wissenschaftler, der- wie kaum ein Anderer -wissenschaftliche Exzellenz mit großem Engagement für fächerübergreifende Wissenschaft und Hochschulforschung verknüpft hat. Als Chemiker und Lehrer hat er der Wissenschaft auf dem Gebiet der technischen und makromolekularen Chemie ein Leben lang gedient, hat Maßstäbe im In-und Ausland gesetzt und nachhaltig die Universität als letzter Rektor und erster Vizepräsident sowie die Freie und Hansestadt Hamburg als Senator für Wissenschaft und Forschung geprägt. Möglich wurde ihm dies durch klares analytisches Denken, Erfassung des Wesentlichen und prägnante Formulierungen. Für mich als sein Schüler ist es eine große Freude und Ehre, hier eine kurze Würdigung des Wissenschaftlers Hansjörg Sinn vornehmen zu dürfen. Es ist nicht nur die langjährige Zusammenarbeit im Institut für Technische und Makromolekulare Chemie und die Ehrung durch gemeinsam erhaltende Preise, sondern auch eine tiefe, persönliche Freundschaft, die uns verbindet.
Hansjörg Sinn, geboren am 20. Juli 1929 in Ludwigshafen Pfalz, begann 1948 das Studium der Chemie und Physik in Mainz. Nach dem Vordiplom führte er das Studium in Innsbruck, Bonn und Braunschweig fort. 1956 promovierte er bei F. Bohlmann und H. H. Inhoffen in Braunschweig mit dem Thema „Studien an Acetylen Systemen“. Nachdem von Inhoffen veranlassten Wechsel an die TU München habilitierte er sich 1963 bei Franz Patat über „Living Polymers und Ziegler Katalyse“ und wurde 1963 zum Privatdozenten ernannt. Während dieser Zeit heiratete er. Mit seiner Frau Margret hat er zwei Söhne.
Danach folgte eine zweijährige Tätigkeit und Praxiserfahrung in der BASF im Ammonlabor mit der Aufgabe, die Nitroseabsorption und die Salpetersäurebildung zu optimieren. Von hier wurde er 1965 auf den Lehrstuhl für Angewandte Chemie an der Universität Hamburg als Nachfolger von Janzen berufen. Berufung an die Technischen Universitäten Dortmund 1968 und München 1972 lehnte er nach reiflicher Überlegung zu Gunsten Hamburgs ab. Das wissenschaftliche Werk Hansjörg Sinns umfasst zwei Schwerpunkte. Ausgehend von der Habilitation, wurde die Untersuchung der metallisch indizierten Polyreaktionen fortgeführt und ausgebaut. Neu aufgenommen wurde die Pyrolyse von Kunststoffen und Altreifen. Seine innovativen Leistungen auf diesem Gebieten sind beispielhaft und in Diplom und Doktorarbeiten, zahlreichen Veröffentlichungen und Patenten dokumentiert. Als Lehrer und Forscher sieht er eine wesentliche Aufgabe darin, dass der auszubildende Chemiker erlernt, ihn umgebende Welt analysierend zu erkennen, synthetisierend zu verändern und Folgewirkungen vorauszusehen.
Stets zeigen seiner Arbeiten neben einer systematischen Grundlagenforschung auch einen engen Bezug zum allgemeinen Nutzen und zur industriellen Anwendung. So bereicherte Hansjörg Sinn die Herstellung von Polyolefinen, die zurzeit am stärksten wachsenden Kunststoffe, durch das Auffinden eines neuen, hochaktiven Katalysatorsystems auf der Basis von Methylaluminoxan/Metallocon. Dieses Katalysatorsystem, heute weltweit immer noch intensiv erforscht, findet zurzeit Eingang in industrielle Großprozesse. Sein besonderes Interesse galt und gilt auch heute noch der nicht abgeschlossenen Aufklärung der komplexen Struktur des Methylaluminoxans.
Schon früh, für vieles wie zum Beispiel Patente zu früh, erkannte er die Grenzen der Ressourcen und die Bedeutung des Recyclings für den Umweltschutz. Mit der in einem Aufsatz niedergelegten Überlegung „…hätten die Menschheit anstelle von Kohle und Erdöl im Boden eine Substanz mit der mittleren Zusammensetzung der derzeitigen Kunststoffproduktion gefunden, wäre auch auf dieser Basis eine Petrochemie aufgebaut worden…“ begannen 1970 die Arbeiten zur Pyrolyse von Kunststoffabfällen mit dem Ziel, daraus Gas und Öl zu gewinnen. Heute haben bei hohen und möglicherweise noch steigenden Rohölpreise große Konzerne dieses Konzept wieder aufgegriffen und sehen darin die beste Möglichkeit, Rohstoffreserven nachhaltig zu schonen und die zunehmende Menge an Kunststoffabfällen sinnvoll zu verwerten.
Studenten fanden bei Hansjörg Sinn stets persönlichen Zuspruch und konstruktiven Rat, wobei auch über allgemeine Probleme bis spät in den Abend diskutiert wurde. Fest in der Erinnerung bleibende Exkursionen in Großforschungseinrichtungen und Chemiebetriebe verringerten den Abstand zwischen Lehrer und Lernenden. Eine große Schar von noch mit ihrem Lehrer verbundenen Sinn- Schülern hat zum großen Teil Führungspositionen in der Industrie und im Staatsdienst eingenommen. Mehrere seiner Schüler haben habilitiert und lehren oder lehrten an deutschen Hochschulen.
Es war und ist besonderes Anliegen von Hansjörg Sinn, gebietet der technischen und makromolekularen Chemie in Hamburg zu verankern und zu festigen. Durch Spenden der Industrie konnte die Abteilung vergrößert und konnten zusätzliche Kollegen berufen werden der Neubau 1985 und die Verselbstständigung als eigenständiges Institut schlossen diese Bemühungen ab.
Ganz zweifellos hat sich jedoch Hansjörg Sinn besonders um die Universität und die Hansestadt Hamburg durch seine hochschulpolitischen Aktivitäten verdient gemacht. Als letzter Rektor der Universität setzte er 1969 seine kreativen und ausgleichenden Fähigkeiten dafür ein, die weit auseinander gedrifteten Gruppen zu versöhnen und zu sachlicher Auseinandersetzung zurückzuführen. – Es war daher kein Wunder, dass er nach Einführung der Präsidialstruktur mit überwältigender Mehrheit zum Vizepräsidenten gewählt wurde. In der Folgezeit setzte er sich intensiv für die Neugründung einer technischen Universität in Harburg ein, zu deren erstem Gründungspräsidenten er berufen wurde. Dieses Amt konnte er jedoch nicht lange wahrnehmen, da er 1978 überraschend als Parteiloser zum Senator für Wissenschaft und Forschung berufen und gewählt wurde. Er füllte dieses Amt zum Wohl für Bildung und Wissenschaft der Hansestadt sechs Jahre lang aus. In diese Zeit fallen die Grundsteinlegungen verschiedener Universitätsbauten, Bauabschnitte der TU Hamburg-Harburg, der Bau von HERA, zahlreiche Neu-Berufungen und Mittelverbesserungen für die Universität.
Bei einem solchen wissenschaftlichen hochschulpolitischen Engagement blieb die Berufung in weitere Gremien nicht aus. Fünf Jahre, von 1971-1976 war er Mitglied des Wissenschaftsrates, davon drei Jahre Vorsitzender der wissenschaftlichen Kommission; von 1985-1991 wurde er erneut in den Wissenschaftsrat berufen. Er war Mitglied der Bürgerschaftlichen Enquete-Kommission „Technische Hochschuleinrichtungen“, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für chemisches Apparatewesen, chemische Technik und Biotechnologie (DECHEMA), Mitglied des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen, des Vorstandes der Gesellschaft Deutscher Chemiker, des Präsidiums des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) und des Senats der Fraunhofer-Gesellschaft. Mit dem ihm eigenen Sachverstand und Einfühlungsvermögen wurde er maßgeblich an der Evaluierung der Akademie- Institute in den neuen Bundesländern beteiligt. Er gehörte den technisch-wissenschaftlichen Beiräten der GKSS in Geesthacht und des Instituts für Polymerforschung Dresden (IBF) an und war jeweils zum Vorsitzenden gewählt worden.
Bei dieser Fülle intensiven Wirkens verwundert es nicht, dass Hansjörg Sinn Mitglied und Ehrenmitglied vieler wissenschaftlicher Gesellschaften ist. Die Joachim Jungius-Gesellschaft berief ihn zum Mitglied, die Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz berief ihn zum korrespondierenden Mitglied; der Verein Deutscher Ingenieure, die DECHEMA und der Verein zur Förderung der Wasserstofftechnologie ernannten ihn zum Ehrenmitglied. Es wurden ihm zahlreiche Ehrungen zuteil: Eiserne Von-Melle-Medaille der Universität Hamburg für Lehre und Forschung; die Grüne Rosette und den Körber Preis für die europäischen Wissenschaften, die Alwin-Mittasch-Medaille der DECHEMA, den Walter Ahlström-Preis der finnischen Akademien, die Hermann Staudinger-Medaille der Gesellschaft Deutscher Chemiker, die Grashoff -Denkmünze des Vereins Deutscher Ingenieure, sowie wie Bürgermeister Stolte Medaille der Freien und Hansestadt Hamburg. Der Zentralausschuss der Hamburger Bürgervereine verlieh ihm den „Portugaleser“, Bürger danken,in Silber“. Die Universität Hamburg Harburg verlieh ihm den Dr. Ing. Ehren halber, die TU Clausthal die Ehrendoktorwürde.
Nach seiner Emeritierung 1995 hat er sich weiter intensiv- jetzt freier von vielern Ämtern der Aufklärung der chemischen Struktur und Wirkung des Methylaluminoxans gewidmet. Die plötzliche und schwere Erkrankung und der Tod seiner Frau Margret vor drei Jahren hat ihn tief erschüttert und ihm zum Umzug nach Clausthal-Zellerfeld bewogen.
Mit Hansjörg Sinn ehrt die Joachim Jungius-Gesellschaft eine herausragende Hochschullehrerpersönlichkeit, die nicht nur in Lehre und Forschung, sondern auch im hochschulpolitischen Bereich Außergewöhnliches geleistet hat. Ihn zeichnet wissenschaftliches Interesse, fachliches Können, schnelle Auffassungsgabe und breite Gelehrsamkeit ebenso aus wie Verständnis für seine Mitmenschen und persönliches Engagement in allen Fragen, die er aufgreift.
In seinem kleinen Labor in der TU Clausthal bearbeitet er zurzeit noch offene Fragen seiner Forschung. Hierfür und für die Zukunft wünschen wir ihm Gesundheit und Schaffenskraft und alles Gute und Freude in der Familie, mit den Söhnen und Bekannten.
Auch abgedruckt in Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften, Hamburg. Jahresbericht 2004, Seiten 151-152