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Das heutige Institut für Physikalische
Chemie ist aus einer kontinuierlichen über
400jährigen akademischen Entwicklung
entstanden. Das mag zunächst verwun-
derlich erscheinen, denn die Universität
Hamburg ist noch nicht einmal 100 Jahre
alt. Aber es gab Vorgängerinstitutionen
- und lange vorher auch schon Bedarf an
Chemischer und Physikalischer Forschung,
Lehre und Dienstleistung in Hamburg.
1613
wurde in Hamburg das
Akademische
Gymnasium
gegründet. Es entsprang einer
protestantischen Bildungsvorstellung und
stellte eine Brücke zwischen der Schule
und der Universität dar. Es war quasi ein
einjähriger Vorkurs für die Universität.
Zu Beginn konnte das Gymnasium sogar
mit den Universitäten wissenschaftlich
konkurrieren, da es hochkarätige Profes-
soren berufen konnte, denn Hamburg war
von den Kriegshandlungen des 30jährigen
Krieges verschont geblieben und bot so
Schutz für die Wissenschaftler. Zunächst
war eine von fünf Professuren dem Bereich
der Mathematik und Naturwissenschaften
gewidmet. Die Abfolge der Professoren be-
ginnt hier mit Peter Lauremberg (Professor
in Hamburg 1614-1624) und endet mit
Karl
Wiebel
(Professor in Hamburg 1837-1881).
Schon bald nach der Gründung wurde
ein zweiter Lehrstuhl für die Naturwis-
senschaften eingerichtet, beginnend mit
Joachim Jungius
(Professor in Hamburg
1629-1657) bis Heinrich Gustav Reichen-
bach (Professor in Hamburg 1863-1883).
Jungius hatte sich sogar sehr konkret mit
chemischen Fragen beschäftigt und nach
heutiger Klassifikation sogar mit Fragen
der Physikalischen Chemie. Er beschäftigte
sich mit der Atomistik und trug damit zur
Begründung der Chemie als Naturwissen-
schaft bei. In seiner Dissertation "Doxo-
scopiae Physicae Minores" verwarf er die
vier Elemente des Altertums (Feuer, Erde,
Luft und Wasser) und die drei der Alchemie
(Quecksilber, Schwefel, Salz) und definierte
chemische Elemente als einheitliche, nicht
weiter zerlegbare Stoffe. Damit wider-
sprach er auch der Idee der Alchemisten,
Gold durch Umwandlung anderer Metalle
zu gewinnen.
Naturwissenschaftliche Instrumente
waren zunächst ein Teil der Bibliothek und
unterlagen Fluktuationen, die man heute
nicht mehr genau rekonstruieren kann.
1837 wurde Karl Wiebel als Professor für
Die Vorgeschichte der Physikalischen Chemie in Hamburg
Volkmar Vill
Mathematik, Physik und Chemie berufen,
der zu Beginn seiner Arbeiten das Vorhan-
dene bilanzierte. Zur Physik gab es eine
ansehnliche Sammlung (das "Physikalische
Kabinet"), zur Chemie war praktisch nichts
vorhanden. Er gründete ein "Chemisches
Laboratorium", das 1841 eröffnet wurde
und neben den Lehraufgaben des Gymna-
siums auch der öffentlichen Bildung diente
und zunehmend auch Dienstleistungen
für Behörden und Gerichte übernahm. Nun
gab es immer weniger Studierende des
Gymnasiums, aber immer mehr Nutzer
der Laboratorien. Das Gymnasium wurde
also aufgelöst und die Laboratorien in
Staatsinstitute überführt. Zunächst wurde
die Chemie selbstständig.
1878
wurde
Ferdinand Wibel, der Sohn von Karl Wiebel,
Direktor des neuen
Chemischen Staatsla-
boratoriums.
1883 wurde das Akademische
Gymnasium aufgelöst und August Voller,
Lehrer des Johanneums, übernahm die un-
entgeltliche Betreuung des Physikalischen
Kabinetts. 1888 wurde er dann Direktor des
neu-gegründeten Physikalischen Staats-
instituts. Später bekamen beide Institute
Seite-an-Seite Neubauten in der Jungius-
straße. Als
1919
die
Universität
gegründet
wurde, wurden beide Institutionen Teil
dieser Alma Mater. Bis zur Gründung der
Universität hatten die beiden Staatsinstitu-
te überwiegend Dienstleistungsaufgaben,
z.B. Überwachung der Nahrungsmittel, des
Trinkwassers und des Petroleums, Gutach-
ten und Analysen für Gerichte, elektrisches
Prüfamt, Betrieb der Erdbebenstation etc.
Durch die Lehr- und Forschungsaufgaben
der Universität konnten nun neue Ziele ge-
setzt werden. Schon 1920 konnte eine Ab-
teilung für Physikalische Chemie mit
Max
Volmer
eingerichtet werden. Vorteilhaft
war hier, dass beide Staatsinstitute direkt
aneinander gebaut waren. So hatte Volmer
seine Büroräume (und organisatorische
Zuordnung) im Chemischen Staatslabora-
torium, aber seine Labore im Physikalischen
Staatslaboratorium. Als er schon 1922
einen Ruf nach Berlin annahm, wurde be-
schlossen, der Physikalischen Chemie eine
noch größere Bedeutung zu geben. Statt
einer apl. Professur wurde ein Ordinariat
für Physikalische Chemie geschaffen und
damit auch ein eigenständiges Institut. Als
Direktor wurde
Otto Stern
berufen, der sich
mehr als würdig für diese Stelle erwies. Er
etablierte die Molekularstrahl-Forschung
in Hamburg und bekam später für seine
Arbeiten den
Physik-Nobelpreis
des Jahres
1943. Damit war Otto Stern möglicherwei-
se der bedeutendste Forscher Hamburgs
- aber der Rassenwahn der Nationalsozia-
listen beendete diese Forschungen in Ham-
burg. Otto Stern und 3 seiner 4 Assistenten
wurden 1933 vertrieben. Damit war das
Institut praktisch verwaist. Das Institut
konnte aber wissenschaftliches Gewicht
wiedererlangen. 1934 wurde
Paul Harteck
berufen. Über die oben genannten Wissen-
schaftler (Jungius, Wiebel, Stern, Harteck)
wurden und werden viele Biographien
geschrieben, so dass für weitere Details
darauf verwiesen werden soll.
Das Institut für Physikalische Chemie,
ca. 1930, Bild: Fritz Thieme
Auch außerhalb der akademischen Insti-
tutionen machte die Chemie in Hamburg
Fortschritte. Noch heute bedeutsam sind
die elektrolytischen Verfahren zur Schei-
dung von Buntmetallen von
Emil Wohlwill
(1835-1912). Er führte für die Norddeut-
sche Affinerie (heute Aurubis) die erste
dauerhaft arbeitende
Kupferelektrolyse
ein. Weltweit bekannt ist auch die
Nivea-
Creme, die
Oscar Troplowitz
für Beiersdorf
entwickelte. Besonders zu erwähnen sind
auch zwei Zeitgenossen von Jungius.
Der Alchimist
Hennig Brand
entdeckte
das chemische
Element Phosphor
beim
Versuch, aus Silber Gold zu machen. Und
der Hamburger Arzt
Andreas Cassius
wurde berühmt für seine Erfindung des
Cassius'schen Goldpurpur
im Jahr 1687,
eine der ersten nano-technologischen Pro-
dukte. Da nun die Nano-Forschung wieder
zentrales Forschungsgebiet geworden ist,
schließt die Gegenwart geradezu perfekt
an die Vergangenheit an.