5
Privatdozent für Physikalische Chemie. Als
Einstein nach Berlin berufen wurde, erhielt
Stern 1915 die Zulassung zur Umhabilitati-
on als Privatdozent für Theoretische Physik
an der Universität Frankfurt amMain. Nach
Ausbruch des Krieges meldete er sich zum
Wehrdienst, wurde Wetterbeobachter nahe
der russischen Grenze und wurde schließ-
lich Unteroffizier. Er wurde zu kriegswich-
tigen Forschungsarbeiten abkommandiert
an das Institut für Physikalische Chemie
der Friedrich-Wilhelm Universität Berlin,
wo
Walther Nernst
Ordinarius war. Nach
Entlassung aus demMilitärdienst kehrte er
nach Frankfurt zurück, wo er zu dem von
Max Born
geleiteten Institut für Theore-
tische Physik gehörte. Hier entwickelte
er mit
Walther Gerlach
zusammen die
Atomstrahl- (allgemein: Molekülstrahl-)
Methode, woraus sich der Stern-Gerlach-
Versuch über das magnetische Moment
des Silberatoms und, allgemeiner, die
Richtungsquantelung immagnetischen
Feld ergab. Im Jahre 1921 wurde Stern als
Extraordinarius für Theoretische Physik an
die Universität Rostock berufen, von wo er
die von Gerlach in Frankfurt durchgeführ-
ten Versuche weiter begleitete. Schließlich
erfolgte nach der Wegberufung Volmers
aus Hamburg die Berufung als Ordinarius
an das nunmehr selbständige Institut
für Physikalische Chemie der Universität
Hamburg. Als Stern 1929 einen Ruf auf ein
Ordinariat in Frankfurt amMain erhielt,
konnte er durchsetzen, dass in den Jahren
1929/1931 für das Institut an der Jungius-
straße ein eigenes Gebäude als Anbau an
das Physikalische Staatsinstitut errichtet
wurde; dies diente als Institutsgebäude
bis 1970, als ein Neubau im Bereich der
Chemie-Institute errichtet wurde. Das
Gebäude an der Jungiusstraße gehörte
danach zu den im ehemaligen Physika-
lischen Staatsinstitut untergebrachten
Physikinstituten und beherbergt(e) Physik-
Praktika und Teile der Laser-Physik. An
diesem Gebäude wurde anlässlich der Feier
zum 100. Geburtstag Otto Sterns eine Tafel
angebracht, die auf sein Wirken und seine
Vertreibung 1933 hinweist. In den Jahren
1930/1931 war Stern Dekan der Mathe-
matisch-Naturwissenschaftlichen Fakul-
tät. Nach der Machtergreifung durch die
Nationalsozialisten 1933 wurden jüdische
Wissenschaftler aus den Universitätsinsti-
tuten konsequent entlassen. Stern blieb zu-
nächst unbelästigt, weil er im 1.Weltkrieg
als Unteroffizier gedient hatte. Dennoch
wurde für Stern der Verbleib am Institut
unerträglich: Seine engeren Mitarbeiter,
Immanuel Estermann
(siehe bei Volmer)
und
Otto Robert Frisch
(geb. 1904 in Wien,
Promotion 1926 bei K. Przibram in Wien,
1927/30 Phys.-Tech. Reichsanstalt Berlin,
1930/33 Assistent bei Stern, 1933 ent-
lassen, 1934/39 Tätigkeit bei Nils Bohr in
Kopenhagen, 1939/40 Assistent bei M. Oli-
phant in Birmingham, 1940/43 in Liverpool,
1943/46 Mitarbeit amManhattan-Projekt
in Los Alamos/USA, 1947/72 Professor am
Trinity College in Cambridge/England, gest.
1979 in Cambridge) und Robert Schnur-
mann wurden entlassen, obgleich Stern
sich für sie einsetzte; kennzeichnend für
die Atmosphäre war auch die Anordnung,
das Foto Albert Einsteins aus seinem
Dienstzimmer zu entfernen. Er beantragte
daher seine Entlassung und emigrierte
in die USA, wo er am Carnegie-Institut
in Pittsburgh eine Forschungsprofessur
bekam; auch Estermann emigrierte und
wurde am Carnegie-Institut Associate Pro-
fessor. In den Jahren nach der Emigration
sind nur noch relativ wenige Publikationen
Sterns verzeichnet. Der wissenschaftliche
Elan der vorherigen Zeit hat ihn offenbar
verlassen; die de-facto-Vertreibung führte
wohl zu einer tiefen Resignation. Im Jahre
1943 wurde ihm der Nobelpreis für Physik
verliehen, wobei die in Hamburg erzielten
Erfolge, insbesondere die Bestimmung des
magnetischen Moments des Protons, von
besonderer Bedeutung waren. Stern wurde
1945 Mitglied der National Academy of
Sciences. Im Jahre 1946 übersiedelte er
nach Berkeley, wo er am 17. August 1969
gestorben ist.
Die zehn Hamburger Jahre Otto Sterns
waren in jeder Beziehung ertragreich,
sowohl was seine eigenen Forschungser-
gebnisse als auch was seinen Einfluss auf
die wissenschaftliche Atmosphäre in der
Fakultät angeht. Seine Weiterentwicklung
der Molekularstrahlmethode gemeinsam
mit Estermann und Frisch wurde durch die
Bestimmung des magnetischen Moments
des Protons gekrönt (spätere Nobelpreis-
Verleihung). Ganz aus der Reihe der übrigen
Arbeiten schlägt eine Publikation elektro-
chemischen Gegenstands, die auf einem
Vortrag Sterns auf der Bunsentagung
1924: „Zur Theorie der elektrolytischen
Doppelschicht“ beruht und in der er das
Modell eines starren Kondensators von H.
Helmholtz und die „diffuse Doppelschicht“
von D. Gouy und D.L. Chapman zu einem
konsistenten Modell vereinte, angeregt
durch Arbeiten von Peter Debye über die
Elektrolyt-Theorie und vielleicht auch durch
seinen Freund und Vorgänger Max Volmer,
der auf elektrochemischem Gebiet tätig
war. Er unterhielt eine intensive Beziehung
insbesondere zu den wichtigsten Physikern
der ganzen Welt, zunächst zu den Hambur-
ger Theoretikern
Wilhelm Lenz
und dessen
Assistent
Wolfgang Pauli,
aber auch zu
seinem Freund
Albert Einstein,
zu
Niels
Bohr, Isidor Isaac Rabi, Emilio Gino Segrè
und manchen anderen, von denen viele zu
Besuch oder auch zu Forschungsaufent-
halten nach Hamburg kamen. Zu den wis-
senschaftlichen Mitarbeitern des Instituts
(verwaltungstechnisch als „Wissenschaft-
liche Hilfsarbeiter“ bezeichnet) zählte
auch
Friedrich Knauer,
dessen Habilitation
gerade zu Sterns Ausscheiden anstand und
von ihm unterstützt wurde (geb. 1897 in
Göttingen, 1923 Promotion bei W. Kohl-
rausch in Hannover, 1923/24 Assistent von
R.W. Pohl in Göttingen, 1924 wiss. Hilfs-
arbeiter bzw. Assistent bzw. Angestellter
am Hamburger Institut, 1934 Habilitation,
1939 apl. Professor, gest. 1979); während
Sterns Zeit, aber auch später widmete er
sich der Molekularstrahl-Technik.
Nach Sterns Entlassung wurde sofort das
Verfahren für seine Nachfolge eingeleitet.
Zum Berufungsausschuss gehörten Paul
Rabe, Direktor des Chemischen Staatsinsti-
tuts, und Wilhelm Lenz, Ordinarius für Theo-
retische Physik. Zwischen beiden entstand
ein Streit über die Ausrichtung des zu Beru-
fenden; Rabe hätte hierbei eine Stärkung
von Organischer und Biochemie gewünscht,
Lenz trat für einen Physik-orientierten
Nachfolger Sterns ein. Zunächst aber
wurde
Carl Wagner
(1901-1977) zumWin-
tersemester 1933/34 mit der Vertretung
der vakanten Professur beauftragt. Wagner
hatte sich 1928 in Jena für Physikalische
Chemie habilitiert; 1934 wurde er Professor
in Darmstadt. Der Berufungsvorschlag sah
dann Wagner auf dem ersten, den Öster-
reicher
Paul Harteck
auf dem zweiten Platz
vor, womit Lenz aber nicht einverstanden
war, da er Harteck an erster Stelle sah. Nach
einigem Hin und Her und nachdem Harteck
zunächst für das Sommersemester 1934
mit der Vertretung der Professur betraut
war, wurde er schließlich berufen und zum
1. November 1934 eingestellt.
Paul Harteck wurde am 20. Juli 1902
in Wien geboren. Er studierte Chemie,
zunächst in Wien, danach an der Friedrich-
Wilhelm-Universität Berlin. Im Jahre 1926
promovierte er bei Max Bodenstein und
war danach 1926/1927 Assistent bei