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In der Emigration 1933-69
Stern verließ Hamburg und ging an das
Carnegie-Institut nach Pittsburgh, wo
ihm durch eine Forschungsprofessur und
seinemMitarbeiter Estermann als Asso-
ciate Professor eine neue Wirkungsstätte
angeboten worden war. Seine Apparaturen
für die Molekularstrahl-Experimente aus
Hamburg durfte er mitnehmen. Damit ver-
siegte hier abrupt eine Quelle einzigartiger
Kreativität.
Im Exil ist leider das große Potential Sterns
versickert,
"aus Gründen, die noch im Dun-
keln liegen",
wie Wolf Walther schreibt, der
versucht hat, den Spuren Sterns in den USA
nachzugehen.
ImMai 1934 haben Estermann und Stern
vom Carnegie Institute of Technology aus
eine Kurzmitteilung
"Magnetic Moment of
the Deuton"
in Nature veröffentlicht, in der
sie das magnetische Moment mit 0,7 μ
N
angeben. 1935 folgte dann
"Remarks on the
measurement of the magnetic moment of
the proton"
in Science.
1937 hat er im
Physical Review
eine neue
Methode zur Messung des Bohrschen
Magnetons vorgestellt, die auf dem freien
Fall der Teilchen im Gravitationsfeld basiert.
Ferner wurde die Streuung langsamer Neu-
tronen durch flüssigen o- und p-Wasser-
stoff untersucht und über die verfeinerte
Bestimmung des magnetischen Protonen-
moments berichtet.
Zehn Jahre später hat er mit der Methode
des freien Falls die Geschwindigkeitsvertei-
lung eines Cs-Molekularstrahls bestimmt
und über die mittlere freie Weglänge von
Cs-Atomen in He, Stickstoff und Cs-Dampf
berichtet. In diese Zeit hinein fällt auch
die Nobel Lecture
The method of molecular
rays,
die er wohl anlässlich der 1944 –
durch den Krieg verspäteten - Überreichung
des Nobelpreises 1943 für Physik gehalten
hat.
In der Laudatio heißt es:
„…für seine Beiträge zur Entwicklung der Mo-
lekularstrahlmethode und die Entdeckung
des magnetischen Moments des Protons“.
Am 10. Dezember 1944 arrangierte die
American Scandinavian Foundation ein
Essen anlässlich der Verleihung der Nobel-
preise 1943 und 1944 in Gegenwart des
schwedischen Botschafters Wollmar F. Bo-
stroem imWaldorf-Astoria-Hotel, New York.
Erbsenzähler haben die Nominierungen
zum Nobelpreis überprüft und sind auf
folgende Ergebnisse gekommen: Es erhiel-
ten Einstein 66, Planck 74, Sommerfeld 80,
jedoch Stern 81 Nominierungen!
1946 zieht sich Stern von seinem akade-
mischen Amt zurück und übersiedelt nach
Berkeley, Californien, dessen intellektuelle
und klimatische Atmosphären ihm besser
zusagen. Dort nahm er regelmäßig am
Physikalischen Kolloquium teil und blieb
interessiert an den großen Entdeckungen
der Teilchen- und Astrophysik. Für Berkeley
hatte er schon früher eine gewisse Vorliebe
entwickelt, einesteils wegen der Kollegen,
anderenteils wegen des Klimas. Vorher
war er von der University of California als
Visiting Professor eingeladen worden und
erhielt 1930 den
honorary doctor of laws
degree.
Jedoch, als er emigrieren muss-
te, erhielt er von Berkeley kein Angebot.
Anziehungspunkt waren auch seine zwei
Schwestern, die Berkeley zumWohnsitz
gewählt hatten.
In Rev. Mod. Phys. folgten Überlegungen
On the term k ln n in the entropy.
Dann
klafft eine 12-jährige Lücke bis zur letzten
Publikation
On a proposal to base wave
mechanics on Nernst’s theorem
in den Hel-
vetica Physica Acta. Das Nernstsche Theo-
rem war Gegenstand von tiefem Interesse
während seines ganzen Lebens.
Als Stern in die Vereinigten Staaten kam,
neigte er dazu, sich abzuschotten. Noch zu
seinem 70. Geburtstag ehrten ihn die mit
der Molekularstrahltechnik Arbeitenden
mit einem speziellen, ihm gewidmeten
Buch. Doch danach wurde er selten auf
Treffen gesehen. Wenige alte Freunde be-
suchten ihn gelegentlich, wobei klar wurde,
dass er das Alleinsein schätzte.
Das Zentrum der physikalischen Forschung
verlagerte sich nach Sterns Vertreibung
zur Columbia University, wo Isidor Isaac
Rabi, der 1927/28 ein Jahr lang mit Pauli in
Hamburg gearbeitet und gelegentlich auch
am hamburger Strahlungslaboratorium
hospitiert hatte, eine neue Schule gegrün-
det hatte, welche die Sternsche Tradition
fortsetzte und sie durch die Einführung
moderner Radiofrequenz- und Vakuum-
technik erweiterte.
Mit Hilfe dieser Atomstrahl-Resonanz-
Methode ließen sich die Kernmomente sehr
genau bestimmen. Rabi erhielt dafür, wie
bereits erwähnt, 1944 – also ein Jahr später
als Stern – den Nobelpreis für Physik.
Stern hat in den 50er und 60er Jahren fast
jedes Jahr noch ausgedehnte Reisen nach
Europa unternommen, wobei er mit alten
Freunden wie Pauli, von Laue, Bohr zusam-
mengekommen ist. Besonders hatte es ihm
die Schweiz angetan, wo Chantarella im
Engadin und Zürich seine bevorzugten Ziele
waren. Deutschen Boden wollte er aller-
dings nicht wieder betreten. Hier gehen die
Zeugnisse auseinander: Während Segrè da-
von spricht, dass er Deutschland nie wieder
besucht habe, soll er seiner Nichte zufolge
dieses Versprechen jedoch gebrochen und
seinen Freund Max Volmer besucht haben,
der betagt – er war 3 Jahre älter – und
krank in Babelsberg lebte. Die Wieder-
aufnahme in die Göttinger Akademie der
Wissenschaften hat er mit der Begründung
abgelehnt, dass die Ermordung ungezählter
unschuldiger Menschen in der Hitlerzeit
es ihm unmöglich mache, sich wieder
als Mitglied der Göttinger Akademie zu
betrachten. Er hat ebenso die Bezüge eines
Emeritus, die ihm zustanden, im Gegensatz
zu Estermann, nie in Anspruch genommen.
Wie schon am Stern-Gerlach-Experiment
klargeworden sein sollte, lagen Sterns
Fähigkeiten eher im Planen und Auswerten
von Experimenten als in deren Durchfüh-
rung. Er schloß sich lieber erfahreneren
Experimentatoren an, die seine Fähigkeiten
ergänzten, so geschehen im Falle von
Gerlach, Estermann, Knauer und Frisch.
Stern war nie verheiratet. Als junger
Mensch pflegte er gern zu tanzen. Er war
ein guter Tennisspieler. In Hamburg ent-
wickelte er sich zu einer Art Lebemann: Er
pflegte in den besten Hotels abzusteigen,
liebte gute Küche, teure Zigarren und im
allgemeinen die Feinheiten des Lebens. Er
war leicht erreichbar durch seine Studen-
ten und Postdocs, mit denen er öfters sein
Mittagessen einnahm, in Hamburg im
“Hallali“ am Neuen Jungfernstieg neben
dem Hotel “Vier Jahreszeiten“. Otto Robert
Frisch schreibt in seiner Autobiographie
„What little I remember“: „BeimMittagses-
sen wurde entweder über Physik oder das
Kino gesprochen. Stern ging praktisch jeden
Abend ins Kino, und manchmal sah er an
einem Tag gleich zwei Filme. Er beklagte
sich oft darüber, dass keine der Hamburger
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