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1924 wurde Stern durch eine grundlegen-
de Veröffentlichung von Debye über die
Theorie der Elektrolyte veranlasst, über den
Aufbau der Schicht an der Grenze zwischen
Elektrode und Elektrolytlösung nachzuden-
ken: Über diesen kurzzeitigen Ausflug in die
Elektrochemie, das Stern-Modell der elek-
trochemischen Doppelschicht, wird noch
an anderer Stelle die Rede sein.
Molekularstrahlen als Materiewellen
In den Jahren 1923/24 veröffentlichte Prinz
Louis de Broglie, 7. Herzog von Broglie,
(1892-1987) mehrere kurze Arbeiten im
Comptes Rendus, die er dann als Disser-
tation zusammenfasste und damit die
physikalische Fakultät der Sorbonne in
Verlegenheit brachte. Beeindruckt war hin-
gegen Langevin, der eine Kopie an Einstein
weiterleitete, welcher sich wie auch Debye
sehr lobend äußerte. Gegenstand von de
Broglies Überlegungen waren einander
scheinbar antagonistisch gegenüberste-
hende Anschauungen, was beispielsweise
in der Optik zur Teilung in Geometrische
(Newton: Emissionstheorie) und Physika-
lische Optik (Huygens: Wellentheorie) bei
der Beschreibung der Eigenschaften des
Lichts geführt hatte. De Broglie erweiterte
dieses duale Verhalten auf Materie gene-
rell, von dem akzeptiert werden muss, dass
es sich bei einem Experiment als Teilchen,
bei einem anderen wie eine Welle verhält.
DiesenWelle-Teilchen-Dualismus kann man
philosophisch als
"Einheit der Gegensätze"
beschreiben. Den Brückenschlag zwischen
beiden Verhaltensformen bildet die de
Broglie-Beziehung, in der die Wellenlänge
O
der Welle mit der Masse m eines mit einer
Geschwindigkeit
bewegten Teilchens in
Beziehung gesetzt wird
Ein Elektron, das sich mit einer Geschwin-
digkeit von 10
6
m/s bewegt, hat demnach
eine de Broglie-Wellenlänge von
eine Größe von molekularer Dimension.
De Broglies Hypothese wurde 1927 ex-
perimentell von Clinton Joseph Davisson
(1881-1958) und Lester Halbert Germer
(1896-1971) bestätigt, die ein Elektronen-
beugungsbild nach Reflexion an einem Ni-
Kristall erhielten. George Paget Thomson
(1892-1975) erhielt etwa gleichzeitig Beu-
gungsbilder beim Durchgang von Elektro-
nen durch eine Celluloid sowie Metall-Folie.
Davisson und Thomson erhielten 1937
dafür den Nobelpreis für Physik.
Bereits 1927 hatten Knauer und Stern die
spiegelnde Reflexion von H
2
- und He-
Strahlen an polierten Metalloberflächen
beobachtet. Die Gültigkeit der de Broglie-
Hypothese für schwerere Teilchen wurde
1930 durch Estermann und Stern und 1931
von Estermann, Frisch und Stern durch Beu-
gung von He-, H
2
- und H-Molekularstrahlen
an Einkristalloberflächen nachgewiesen.
Die Experimente wurden vor allem durch
die Hygroskopizität der Kristalle beeinträch-
tigt. Monochromatische Molekularstrah-
len konnten entweder durch rotierende
Spalte oder durch Beugung an Einkristallen
erzeugt und damit Experimente durchge-
führt werden, wobei keine Verbreiterung
durch die Maxwellsche Geschwindigkeits-
verteilung mehr auftrat. Experimente mit
He bestätigten die de Broglie-Formel mit
einer Genauigkeit von 1%.
Das Hamburger Molekularstrahlteam hatte
in dieser Zeit die Mitarbeiter Knauer, Brill,
Fraser, Rabi, Taylor und Estermann.
Kernphysik – was ist das?
Im Stern-Gerlach-Experiment (SGE) hatten
die Molekularstrahlen einen Beitrag zur
Aufklärung der Elektronenhülle geleistet.
War mit ihrer Hilfe auch ein solcher hin-
sichtlich des Atomkerns möglich?
Als Estermann kurz nach der Übersied-
lung in Hamburg einen Kurs "Kernphysik"
ankündigte, wurde er von einem älteren
Kollegen gefragt: „Kernphysik – was ist
das? Ein Kapitel mit diesem Titel gibt es
zwar in Sommerfelds Buch
Atombau und
Spektrallinien,
aber das ist doch sicher nicht
ausreichend für einen 1-semestrigen Kurs.“
Mit der Verbesserung der spektroskopi-
schen Technik hinsichtlich des Auflösungs-
vermögens vor allem durch Einführung
der Interferenzspektroskopie wurde gegen
Endes des 19. Jahrhunderts eine weitere
Aufspaltung der Feinstruktur (FS), die
Hyperfeinstruktur (HFS) der Atomlinien,
unabhängig voneinander von A. A. Michel-
son sowie Ch. Fabry und A. Perot entdeckt.
Zur Erklärung wurde einerseits die Isotopie,
andererseits die Wechselwirkung der Elekt-
ronen mit magnetischen Dipol- und elektri-
schen Quadrupolmomenten herangezogen.
Ab 1930 hat sich Hans Kopfermann, erster
Doktorand von James Franck in Göttingen
und Assistent von Rudolf Ladenburg am
KWI für Physikalische Chemie in Berlin,
der HFS-Spektroskopie getrennter Isotope
zugewandt und die Ergebnisse in seinem
Standardwerk
Kernmomente
zusammen-
gefasst.
1924 postulierte Wolfgang Pauli in den
Naturwissenschaften den Kernspin und ein
damit verbundenes magnetisches Moment,
dessen Wechselwirkung mit den Elektronen
zu deren Termaufspaltung und damit zur
HFS führt.
Wenn für die FS das Bohrsche Magneton
P
B
= e
˥
/2m verantwortlich war, musste die
viel kleinere Aufspaltung der HFS durch
viel kleinere magnetische Momente, den
Kernmomenten
P
N
, bewirkt werden. Für
den Atomkern wurde eine kompliziertere
Struktur vermutet, als bis dahin bekannt
war, was Untersuchungen über Kernspins
und magnetische Kernmomente notwen-
dig machte. Einerseits bot sich hier die HFS-
Spektroskopie an, allerdings waren hier die
Berechnungen der magnetischen Kernmo-
mente sehr schwierig, welche zusammen
mit einer Reihe notwendiger Näherungen
zu ungenauen Ergebnissen führte. Als
Alternative boten sich hier Molekularstrah-
lexperimente an, wobei Wasserstoff und
Deuterium als "Lichtquelle" Verwendung
finden sollten.
Schulmeister Pauli erleidet eine Schlappe
1928 hatte Paul Dirac die relativistische
Quantentheorie entwickelt, der zufolge
Proton und Elektron einen Spin von ½
˥
und entsprechend magnetische Momen-
te von
P
N
= e
˥
/2m
p
(Kernmagneton) und
P
e
=e
˥
/2m
e
=
P
B
(Bohrsches Magneton)
besitzen sollten, was nach experimenteller
Bestätigung schrie. Da dies aus der HFS-
Aufspaltung nicht machbar schien, kamen
hier nur Molekularstrahlexperimente in
Frage.
Die Planung im Hamburger Molekular-
strahl-Laboratorium sah für die experimen-
telle Anordnung Folgendes vor: Es sollte
im Großen und Ganzen beim SGE-Prinzip
geblieben werden, jedoch engere Spalte,
stärkere Magnetfelder und empfindlichere
Detektoren Verwendung finden. Außerdem
sollte das Vakuumsystem grundlegend
verbessert werden.
Als Untersuchungsobjekt wurde ein
H
2
-Molekülstrahl gewählt, da