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epidemie ein Hygieneinstitut errichtet
worden.
Die Wissenschaftlichen Anstalten wur-
den in der Folgezeit weiter ausgebaut.
Beschleunigt wurde die Entwicklung 1907
durch die Gründung der Hamburgischen
Wissenschaftlichen Stiftung, deren Vor-
sitzender der Kaufmann Edmund Siemers
war. Dieser sorgte dafür, dass 1911 ein
Vorlesungsgebäude entstand.
Ein Antrag auf Gründung einer Hamburgi-
schen Universität im Jahre 1912 fand in der
Bürgerschaft keine Mehrheit. Anfang 1919
lehnte die alte Bürgerschaft erneut eine
Universitätsgründung ab. Am 20.3.1919
endlich beschließt die neu gewählte Bür-
gerschaft das Universitätsgesetz.
Am 31.3.1919 erfolgt die Errichtung eines
a.o. Lehrstuhls für Physikalische Chemie.
Am 28.6.1920 ergeht der Ruf auf diesen
Lehrstuhl an den 35-jährigen Max Volmer,
tätig bei der Auergesellschaft in Berlin, als
einzigen Kandidaten, wegen seines reichen
Erfahrungsschatzes, seiner hervorragenden
Reputation und weil eine junge Universität
junge Köpfe braucht. Am 30.6.1920 nimmt
Volmer den Ruf an und beginnt seine Lehr-
tätigkeit am 1. Oktober.
Das Extraordinariat für Physikalische
Chemie ist von 1920 an zunächst eine
Abteilung des Chemischen Staatsinstituts.
1922 werden ihm Räume im Physikalischen
Staatsinstitut zur Verfügung gestellt.
Dort waren die Arbeitsbedingungen recht
ungünstig, d.h. die räumliche, apparati-
ve, personelle Ausstattung als auch die
finanziellen Mittel ungenügend. Die Geräte
mussten großenteils vom Chemischen und
Physikalischen Staatsinstitut ausgeliehen,
die Versuchsanordnungen mit einfachen
Mitteln hergestellt werden.
Volmers Antrag auf Umwandlung des
Extraordinariats in ein Ordinariat wurde
von den Kollegen des Chemischen Staatsin-
stituts unterstützt, aber erst 1923 durch-
gesetzt. Ehe dies geschieht, nahmVolmer
imMai 1922 einen Ruf an die TH Berlin-
Charlottenburg an.
Otto Stern kommt nach Hamburg
Der 1921 an der Hamburgischen Universi-
tät geschaffene Lehrstuhl für Theoretische
Physik wurde am 1.10.1921 von Wilhelm
Lenz, einem Schüler Arnold Sommerfelds,
besetzt. In den 20er Jahren gelang es ihm,
das Wunderkind Wolfgang Pauli als Assis-
tenten zu gewinnen, der während seiner
Hamburger Zeit sein Ausschließungsprin-
zip entdeckte. Lenz setzte sich nach dem
Weggang Volmers für eine Berufung Otto
Sterns ein, damals a.o. Prof. in Rostock.
Ab 1.1.1923 übernahm dieser die Leitung
des nunmehr selbständigen Instituts für
Physikalische Chemie. Letzteres erhielt auf-
grund seiner Berufungszusage eine eigene
Ausstattung. Immer noch untergebracht im
Physikalischen Staatsinstitut baute Stern
ein physikalisch-chemisches Praktikum
auf, denn die Physikalische Chemie war
inzwischen Pflichtfach für alle Chemiker.
Ferner entstand ein Molekularstrahl-Labo-
ratorium, wobei ihm Immanuel Estermann
assistierte.
Estermann 1900 in Berlin geboren, mit der
Familie 1914 nach Palästina ausgewandert
und noch vor Ende des 1. Weltkriegs nach
Hamburg zurückgekehrt, studierte Chemie
an der Universität Hamburg und promo-
vierte 1921 bei Max Volmer. Im gleichen
Jahr begleitete er Otto Stern nach Rostock.
In den 20er Jahren entwickelte sich im
Umkreis von Lenz und Stern unter Mitwir-
kung von Pauli eine rege Diskussions- und
Forschungstätigkeit, an der auch Gäste, wie
z.B. der mit einem Reisestipendium ausge-
rüstete Isidor Isaac Rabi, teilnahmen. Bis
Anfang der 30er Jahre haben in Hamburg
fünf Wissenschaftler zusammengearbei-
tet, denen später der Nobelpreis verliehen
wurde: Stern 1943, Rabi 1944, Pauli 1945,
Segrè 1959, und Jensen 1963.
Stern pflegte die Verbindung zu anderen
großen Zeitgenossen auf physikalisch-che-
mischen Gebiet. Zu diesen gehörten Irving
Langmuir und sein langjähriger Freund
Wolfgang Pauli.
Im Institut herrschte nach wie vor große
Raumnot. Für die Lehr- und Forschungs-
aufgaben standen 4 Zimmer und eine
Kellerwerkstatt zur Verfügung. Ein Ruf Otto
Sterns an die Universität Frankfurt sorgte
schließlich dafür, dass für das Institut für
Physikalische Chemie ein Anbau an das
Physikalische Staatsinstitut 1929 bewilligt
wurde, der 1931 fertiggestellt wurde.
Im Staatsarchiv Hamburg findet sich die
Aktennotiz eines hohen Verwaltungsbe-
amten vom 15. Mai 1929, anlässlich der
Beantragung des Institutsneubaus:
"Ich möchte, wenn ich auch nicht selbst
für die Hochschulpolitik verantwortlich
bin, nochmals mit allem Nachdruck darauf
hinweisen, um mein Gewissen zu entlasten,
dass Herr Prof. Stern auf dem Gebiet der
physikalischen Chemie neben Einstein der
bedeutendste Gelehrte ist, der zwar wenig
aus sich macht, aber geradezu einenWeltruf
genießt. Hamburger Herren, die in Amerika
gewesen sind, werden wohl nach keinem
Gelehrten öfter gefragt als nach Herrn Prof.
Stern. Geht er von Hamburg fort, so ist
gleichwertiger Ersatz überhaupt nicht zu
finden. Es gibt nur einige jüngere Herren,
die aber sehr unbedeutend sind. Abgesehen
von seinem internationalen Ruf hat Herr
Prof. Stern die seltene Gabe, nicht nur die
Kollegen seines eigenen Faches, sondern
auch die Kollegen der benachbarten Gebiete
an sich zu ziehen, sie zu wissenschaftlichen
Arbeiten anzuregen; dann ist ihm eine
glänzende Problemstellung zu eigen, kurz:
er ist innerhalb der hiesigen Mathematisch-
naturwissenschaftlichen Fakultät ein ganz
hervorragender wissenschaftlicher Mittel-
punkt, dessen Fortgang – wenn ich diese
abgegriffene Phrase gebrauchen darf – eine
fühlbare Lücke zurücklassen würde.“
Stern hatte von Max von Laue das Angebot
auf einen Direktorposten am KWI in Berlin
erhalten. Gerade auf einem Forschungs-
aufenthalt in Berkeley, schrieb er am 26.
Januar 1930 eine Absage, aus der nur eini-
ge Phrasen angeführt sein sollen, die aber
für Stern‘s Charakter typisch sind:
„Ich habe
in Hamburg alles bekommen, was ich wollte
(Neubau, Verdopplung des Personaletats,
Vervielfachung der Werkstatt, usw …….Jetzt
gleich, nachdem sich die Hamburger so ins
Zeug gelegt haben, von Hamburg wegzuge-
hen, wäre einfach nicht anständig von mir
gewesen……….“
Typisch für Stern ist eine enge Zusammen-
arbeit mit der Physik, weniger hingegen
mit seinen Kollegen des Chemischen
Staatsinstituts. Dies mag daran liegen, dass
es im Fach Chemie keine übergreifende Ver-
anstaltung wie ein Chemisches Kolloquium
gab. Solche gab es aber im Fach Physik. Hier
haben Stern und Estermann die Gelegen-
heit ergriffen und zusammen mit ihren
Physiker-Kollegen drei Lehrveranstaltungen
durchgehend während seiner ganzen Ham-
burger Zeit gemeinsam veranstaltet, wie
das Theoretisch-physikalische Seminar, das
Physikalische Proseminar und das Physikali-
sche Kolloquium.
1...,42,43,44,45,46,47,48,49,50,51 53,54,55,56,57,58,59,60
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