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Kindheit und Jugend 1888-1906
Otto Stern wurde am 17. Februar 1888 als
Ältester von 5 Kindern (2 Söhne, 3 Töch-
ter) des Mühlenbesitzers Oskar Stern und
seiner Ehefrau Eugenie, geb. Rosenthal,
in Sohrau, Oberschlesien, geboren. Dieses
Städtchen war an der „Drei-Kaiser-Ecke“ ge-
legen, wie man das Zusammentreffen der
Länder von Österreich-Ungarn, dem Russi-
schen und dem Deutschen Reich nannte.
Die Stadt, polnisch Zory genannt, hatte
damals eine Einwohnerzahl von etwa 4000
(heute 60.000) und liegt an der Raude (poln.
Ruda), einem rechten Nebenfluss der Oder,
im südwestlichen Teil der Woiwodschaft
Schlesien nahe der tschechischen Grenze, ca.
30 km südwestlich von Kattowitz, ca. 90 km
westlich von Krakau. Eine Gedenktafel am
Rathaus erinnert an den Nobelpreisträger.
Noch vor dem Einsetzen der Schulpflicht
erfolgte 1892 der Umzug der Familie nach
Breslau.
Ostern 1894 wurde Otto eingeschult.
Ostern 1906 verließ er das Johannes-
Gymnasiummit dem Zeugnis der Reife.
Das Gymnasium war in der damaligen Zeit
auf das Erlernen der klassischen Sprachen
ausgerichtet, was zu Lasten der Ausbildung
in Mathematik und Naturwissenschaften
ging. Diese Kenntnisse versuchte er sich
durch das Studium entsprechender Bücher
anzueignen.
Die wohlhabende jüdische Familie Stern, zu
der Getreidehändler und Mühlenbesitzer
gehörten, konnte es sich leisten, ihre Kinder
studieren zu lassen ohne das unmittelbare
Ziel, einen Beruf für den Broterwerb zu
ergreifen.
Studium bei Sommerfeld, Pringsheim,
Lummer, Abegg und Sackur 1906-12
Stern absolvierte, speziell an der physikali-
sche Chemie interessiert, ein 12-semestri-
ges Chemiestudium, davon je 1 Semester
in Freiburg und München sowie 10 in
Breslau. Theoretische Physik hörte er in
München bei Arnold Sommerfeld, Experi-
OTTO STERN - Nobelpreis 1943 für seine Forschung als Professor
für Physikalische Chemie in Hamburg
Horst Förster
mentalphysik an der Leopoldina in Breslau
bei Ernst Pringsheim und Otto Lummer. In
einem späteren Interview hat Stern einge-
räumt, dass er während seines Münchner
Semesters zwar Sommerfelds Vorlesungen
besucht, jedoch nichts verstanden habe.
Generell Vorlesungen beeindruckten ihn
nicht so sehr; er lernte lieber – siehe seine
Schulzeit – aus Büchern, wobei für seine
Entwicklung vor allem die Schriften Ludwig
Boltzmanns über Molekulartheorie und
statistische Mechanik sowie die von Rudolf
Clausius und Walther Nernst über Thermo-
dynamik von Bedeutung waren.
In Breslau bestand Stern am 6. März
1908 das Verbandsexamen. Nach seiner
Rückkehr stand für ihn fest, dass er sein
Studiummit einer Arbeit in physikalischer
Chemie beenden würde. Dieses Fach wurde
zu seiner Zeit in Breslau von Richard Abegg
und Otto Sackur vertreten, welche die sta-
tistische Thermodynamik und Molekular-
theorie stärker betonten. 2 Jahre vor Sterns
Studiumsabschluss, kurz vor Eröffnung des
für ihn neuerrichteten Instituts für Physika-
lische Chemie im Jahre 1910, verunglückte
Abegg bei einer Freiballonfahrt tödlich.
Das Thema für Sterns Dissertation wurde
von Otto Sackur angeregt. Titel:
"Zur kineti-
schen Theorie des osmotischen Druckes kon-
zentrierter Lösungen und über die Gültigkeit
des Henryschen Gesetzes für konzentrierte
Lösungen von Kohlendioxid in organischen
Lösungsmitteln bei tiefen Temperaturen".
Am 6. März 1912 bestand er das Rigoro-
sum. Am 13. April 1912 wurde er zum
Doktor der Philosophie promoviert. Seine
Dissertation hat er als seine erste Publikati-
on unter dem obigen Titel in der Zeitschrift
für Physikalische Chemie veröffentlicht.
Erste Theoretische Phase –
Lehrjahre in Prag und Zürich, 1912-14
1912 wird Stern, angeregt durch Otto
Sackur, durch Vermittlung von Fritz Haber,
der mit Einstein bekannt war, finanziell un-
abhängiger Mitarbeiter von Albert Einstein,
der seit 1911 Ordinarius für Theoretische
Physik an der Deutschen Universität Prag ist.
Stern hatte das Gespür, dass Einstein der
bedeutendste Physiker der Gegenwart bzw.
Zukunft ist. Er hat später einmal gesagt,
dass ihn eine Art Abenteuerlust zu diesem
Schritt gedrängt habe. Häufiges Zusam-
mentreffen und Diskussionen fanden in
einem Café statt, welches einem Bordell
angeschlossen war. Aus dieser Zusam-
menarbeit entwickelt sich lebenslange
Freundschaft. Einstein fühlte sich in Prag
wegen der scheinheiligen, antisemitischen
Atmosphäre im habsburgischen Österreich
nicht wohl und folgte erleichtert 1912
einem Ruf an die ETH Zürich.
1913 folgt ihm Stern nach Zürich. Dort traf
er auch mit Paul Ehrenfest und Max von
Laue zusammen.
In Zusammenarbeit mit Einstein entstand
die Publikation
Einige Argumente für die
Annahme einer molekularen Agitation am
absoluten Nullpunkt.
Das 1911 von Rutherford vorgestellte
saturnische Atommodell erwies sich als
mechanisch und elektrisch instabil und
schrie förmlich nach einer verbesserten
Deutung. 1913 entwickelte Niels Bohr das
nach ihm benannte Atommodell, wo er
durch 2 Hypothesen die klassische Physik
außer Kraft setzte. Während Debye und
Sommerfeld begeistert ein Loblied sangen,
erklärten Stern und von Laue, dass sie
ihren Hut nehmen würden, wenn sich die-
ser Unsinn von Bohr als richtig erweisen
sollte.
Stern beschäftigt sich mit der Bestimmung
der absoluten Entropie und verfasst eine
Arbeit mit dem Titel
"Zur kinetischen Theorie
des Dampfdrucks einatomiger fester Stoffe
und über die Entropiekonstante einatomiger
Gase",
deren Ziel es war, eine Dampfdruck-
formel für einen 1-atomigen Festkörper in
einem T-Gebiet abzuleiten, in dem dieser
der klassischen Theorie gehorcht sowie
die Dulong-Petitsche spezifische Wärme
besitzt und zwar auf zwei Wegen, thermo-
dynamisch aus der Entropie bzw. mit einem
molekularkinetischen Modell. Auf beiden
Wegen gelangte er zu einem übereinstim-
menden Ergebnis.