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Enantiomerenunterscheidung chiraler
Moleküle
Mit der Breitband-Rotationsspektroskopie,
die erst vor einigen Jahren von der Arbeits-
gruppe um Prof. Brooks Pate, University of
Virginia, entwickelt wurde und seither das
Feld der hochauflösenden Spektroskopie
signifikant verändert, kann nicht nur ein
Großteil des gesamten Rotationsspektrums
polarer Moleküle aufgenommen werden. Es
eignet sich auch hervorragend für die Kom-
bination mit anderen Strahlungsquellen in
Doppelresonanz-Experimenten. In Zusam-
menarbeit mit Dr. Dave Patterson and Prof.
John M. Doyle von der Harvard Universität
haben wir eine neue Methode entwickelt,
die auf richtungsabhängiger Doppelreso-
Arbeitskreis Struktur und Dynamik kalter Moleküle,
Max-Planck-Institut für Struktur und Dynamik der
Materie am Center for Free-Electron Laser Science
Leiterin: Dr. Melanie Schnell
Die unabhängige Max-Planck-Forschungsgruppe umfasst acht Mitarbeiter. Wir beschäftigen
uns mit der Untersuchung der Struktur, der Chiralität und der Dynamik polarer Moleküle
und ihrer Komplexe in der Gasphase. Ziel ist es, den Zusammenhang zwischen Struktur und
Chiralität auf der einen Seite sowie Dynamik auf der anderen Seite besser zu verstehen. Dafür
entwickeln und verwenden wir verschiedene spektroskopische Methoden, mit einem Schwer-
punkt auf Breitband-Rotationsspektroskopie. Kürzlich gelang es uns beispielsweise, Rotations-
spektroskopie so weiterzuentwickeln, dass wir die Enantiomere chiraler Moleküle voneinander
unterscheiden und ihre absolute Konfiguration bestimmen können.
In einem weiteren Forschungszweig beschäftigen wir uns mit dem Forschungsgebiet kalter
Moleküle, d.h. wir entwickeln neue Methoden, um Molekülpakete kontrolliert abzubremsen
und schließlich zu fangen. Die gefangenen Moleküle stehen dann für weiterführende Experi-
mente, wie z.B. der Präzisionsspektroskopie, zur Verfügung.
nanz-Rotationsspektroskopie basiert. Mit
ihr können wir unter anderem die Enantio-
mere chiraler Moleküle direkt unterschei-
den und einen eventuellen Enantiomeren-
überschuß bestimmen
1,2
. Dabei nutzen wir
aus, dass sich die Strukturen chiraler Mo-
leküle und damit auch ihre Dipolmomente
spiegelbildlich zueinander verhalten, d.h.,
das Produkt der drei Dipolmomentskompo-
nenten μaμbμc bezogen auf das Molekül-
trägheitsachsensystem hat für die beiden
Enantiomere entgegengesetzte Vorzeichen.
In unseren Experimenten können wir diesen
Unterschied in einem Phasenunterschied
von 180° im gemessenen Emissionssignal
sichtbar machen. Dieser Phasenunter-
schied ist für die beiden Enantiomere des
1,2-Propandiols schematisch in Abbildung
1 dargestellt. Zudem ist unsere Methode
hochgradig mischungskompatibel, so dass
wir mehrere chirale Moleküle gleichzeitig
untersuchen können. Zur Zeit arbeiten wir
daran, die Methode auf größere Moleküle
mit mehreren stereogenen Zentren zu
erweitern und ein verlässliches Protokoll für
die Bestimmung der absoluten Konfigurati-
onen der Enantiomere zu entwickeln.
Struktur und Dynamik polarer Moleküle
Mit Hilfe der Rotationsspektroskopie
können wir die Strukturen polarer Moleküle
in der Gasphase hochgenau bestimmen.
Darüber hinaus sind aber auch Informati-
onen über andere Moleküleigenschaften,
wie dem Dipolmoment, der intramoleku-
laren Dynamik sowie über die chemische
Umgebung einzelner Kerne und damit über
den Bindungscharakter durch eine Analyse
der Kernquadrupolkopplung zugänglich.
Wir konzentrieren uns zur Zeit vornehm-
lich auf biologisch relevante Moleküle, wie
Terpene, Aminosäuren und Zucker, und
ihre Komplexe. Wir haben kürzlich eine
Laserablationsquelle aufgebaut, mit der wir
auch empfindliche Biomoleküle wie Zucker
und Aminosäuren in die Gasphase bringen
können. Wir interessieren uns insbesonde-
re auch für ihre Komplexe, mit denen wir
Grundprinzipien der Molekülerkennung an
Modellsystemen untersuchen.
Durch die sehr geringen Linienbreiten der
Rotationsübergänge sowie der hohen Emp-
findlichkeit der Rotationskonstanten (über
die Trägheitsmomente) auf schon kleine
Strukturänderungen sind Rotationsspekt-
ren wie Fingerabdrücke für polare Mole-
küle. Selbst Konformere und Isotopologe
können klar unterschieden werden. Durch
diese Molekülspezifität eignet sich die Ro-
tationsspektroskopie hervorragend für die
Analyse komplexer Molekülmischungen,
wie beispielsweise eine Probe kommerziell
erhältlichen Teebaumöls, das vornehmlich
aus verschiedenen Terpenen besteht.
Auch Reaktionsprodukte, wie zum Beispiel
von Fragmentierungen oder Photodissozi-
ationen, können anhand ihrer Rotations-
spektren analysiert werden. Wir haben
kürzlich den Schmerzmittelwirkstoff
Ibuprofen untersucht. Neben vier verschie-
denen Konformeren in der Gasphase konn-
ten wir auch Fragmentierungsprodukte
identifizieren, die aus Abspaltung von CO
2
resultieren. Durch dezidierte spektroskopi-
sche Bestimmung der vorhandenen Spezies
als Funktion der Temperatur sollten auch
Rückschlüsse auf den Fragmentierungsme-
chanismus möglich sein.
Abbildung 1: Die Enantiomere chiraler
Moleküle, hier 1,2-Propandiol, können mit
zweifach resonanter Breitband-Rotations-
spektroskopie anhand einer Phasenverschie-
bung von 180° im Freien Induktionszerfall
unterschieden werden.
1
D. Patterson, M. Schnell, J.M. Doyle,
Nature
497 (2013) 475-477
2
V.A. Shubert, D. Schmitz, D. Patterson, J.M. Doyle, M. Schnell,
Angew. Chemie Int. Ed.
53 (2014) 1152-1155