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5. auf den 6. November 1921 von Stern und
Gerlach ergab mit einer runden Blende von
0,1 mm eine elliptische Verbreiterung um
0,03-0,04 mm in Richtung der Inhomoge-
nität, entsprechend einemmagnetischen
Moment von 1-2 Bohrsche Magnetonen
(BM). Das BM ist der Betrag des magneti-
schen (Dipol-)Moments eines imWasser-
stoff-Grundzustand um den Kern kreisen-
den Elektrons und quasi Einheit oder Quant
des magnetischen Moments. Damit war
scheinbar die klassische Erwartung von
Stern und Sommerfeld bestätigt. Gerlach
in einem Brief an Edgar Meyer in Zürich:
"Es
geht: statt des runden Silberniederschlags
ein im Magnetfeld wesentlich verbreiterter
- also Sommerfeld."
Das Ergebnis wurde in
Form einer 2-seitigen Vorläufigen Mit-
teilung
"Der experimentelle Nachweis des
magnetischen Moments des Silberatoms"
am 18. November 1921 an die Zeitschrift
für Physik gesandt.
Zwischen Frankfurt und Rostock
Zum 1. Oktober wurde Stern als Extraor-
dinarius für Theoretische Physik an die
Universität Rostock berufen, wobei ihm
am 1. Dezember Immanuel Estermann, der
unter Max Volmer in Hamburg promoviert
hatte, als Assistent folgte. In Rostock konn-
ten keine neuen Experimente durchgeführt
werden; die liefen inzwischen in Frankfurt
weiter.
Über das Rostocker Institut hat Stern später
im
Zürcher Interview
gesagt:
„Im Übrigen
konnte ich dort nicht sehr viel machen, weil
es erstens kein sehr schönes Institut war, ein
sehr kümmerliches Institut, und zweitens
weil ich furchtbar viel mit den Vorlesungen
zu tun hatte.“
Stern hatte allerdings in Rostock die Muße,
die in Frankfurt erhaltenen Ergebnisse zu
durchdenken. Er konnte nur zu Weihnach-
ten 1921 und Ostern 1922 zu Besprechun-
gen und Vermessung der Inhomogenität
nach Frankfurt kommen. Während Sterns
Anwesenheit war Feinmechanikermeister
Schmidt den Doktoranden gegenüber
freundlicher gesonnen, vermutlich weil es
dann für seine Pfeife einen besseren Tabak
gab.
Wegen dieser Umstände war Gerlach
gezwungen, imWesentlichen allein
weiterzuarbeiten. Er hatte die Idee, das
Auflösungsvermögen zu erhöhen, indem
er die kreisförmigen Blenden durch Spalte
ersetzte. Inzwischen stand für die Versuche
nicht mehr ein Leihmagnet zur Verfügung,
sondern man konnte einen solchen mit
Mitteln des KWI für Physik beschaffen,
dessen Direktor, Albert Einstein, herzlich
gedankt wurde.
Anfang Februar 1922 kam es zu einem
Zusammentreffen zwischen Stern und
Gerlach in Göttingen, wo man noch einmal
alle Fakten auf den Prüfstand stellte mit
dem Ergebnis "Es geht nicht!". Ein Eisen-
bahnstreik verzögerte die Heimreise von
Gerlach nach Frankfurt um anderthalb
Tage, die er schließlich im Güterzug verbrin-
gen musste. Während dieser Zeit dachte
er nochmals über alle Details nach und
beschloss, es noch einmal zu versuchen.
Nach einem Umbau der Apparatur mit
einer Spaltblende von 0,03-0,04 mm Breite,
deren Erprobung gemeinsam in den Weih-
nachtsferien erfolgte, gelang schließlich
in den ersten Februartagen 1922 die erste
Strahlaufspaltung. Bis dahin bereitete die
Versuchsanordnung immer wieder große
Schwierigkeiten. Der Ofen musste auf 1300
K geheizt und in einer nicht ausheizbaren
Apparatur ein Vakuum von 10
-5
Torr über
Stunden aufrechterhalten werden, da
die Exposition 4-8 h dauerte. Als Pumpen
standen eine Gaedesche Molekularpumpe
und eine Volmersche Hg-Diffusionspumpe
zur Verfügung, wobei es häufig zu einem
Bruch der Glasverbindung zu den Pumpen
kam. Die Hauptlast und die Verantwortung
lagen auf den Schultern von Gerlach, der
die häufigen Nachtwachen mit dem Lesen
von Sonderdrucken, Korrekturen, dem
Verfassen von Rezensionen und Veröffent-
lichungen verbrachte, wobei Kakao und
Tee in großen Mengen konsumiert und viel
geraucht wurde. Anfang Februar war es
soweit: eine 8-stündige Exposition eines
Ag-Atomstrahls ergab zum ersten Mal nach
dem Entwickeln eine Aufspaltung in 2 ge-
trennte Strahlen, wobei Mechanikermeister
Schmidt und Professor Madelung Zeugen
wurden. ImMineralogischen Institut wurde
zur Information der Fachwelt ein Mikropho-
togramm angefertigt.
Der Doktorand Schütz wurde von Gerlach
beauftragt, Stern sofort ein Telegrammmit
dem Inhalt "Bohr hat doch recht!" zu schi-
cken. Am 8. Februar 1922 sandte Gerlach
eine Postkarte zu Niels Bohr, auf der der
Ag-Strahl ohne und mit Magnetfeld abge-
bildet war, mit den Worten "Sehr verehrter
Herr Bohr, anbei die Fortsetzung unserer
Arbeit (vide Zeitschr. f. Physik VIII Seite 110,
1921.): Der experimentelle Nachweis der
Richtungsquantelung. Wir gratulieren zur
Bestätigung Ihrer Theorie! Mit hochach-
tungsvollen Grüßen Ihr ergebenster Walther
Gerlach". Ende Februar wurde das Ergebnis
von Stern und Gerlach in Form einer 4-seiti-
gen Mitteilung mit dem Titel
"Der experi-
mentelle Nachweis der Richtungsquantelung
im Magnetfeld"
an die Zeitschrift für Physik
geschickt, die im Band 9 auf Seite 349 ver-
öffentlicht wurde. Ende März erfolgte eine
weitere Mitteilung O. Stern, M. Gerlach:
Das magnetische Moment des Silberatoms
in derselben Zeitschrift, worin über die Be-
stimmung des magnetischen Moments des
Ag-Atoms zu 1 BM berichtet wurde.
Die Kommentare einiger Fachkollegen,
nachdem sie die Mikrofotografien kom-
mentarlos erhalten hatten:
James Franck: "...Wichtiger ist aber, ob
wirklich nunmehr die Richtungsquantelung
bewiesen ist. Schreiben Sie außer Ihrem
Rebus auch mal, was nun wirklich los ist."
Friedrich Paschen: "....Ihr Versuch beweist
zum ersten Mal die Realität von Bohrschen
Zuständen."
Wolfgang Pauli: "Jetzt wird hoffentlich auch
der ungläubige Stern von der Richtungs-
quantelung überzeugt sein."
Niels Bohr: "...Ich sollte sehr dankbar sein,
wenn Sie oder Herr Stern mir mit einigen
Zeilen freundlich mitteilen wollen, ob
Sie Ihre Experimente dahin deuten, dass
die magnetische Achse des Silberatoms
immer parallel dem Felde steht und nicht
senkrecht zu diesem stehen kann, für welch
letztere Behauptung man auch theoreti-
sche Gründe geben kann."
Diese Kommentare zeigen, wie hilflos
selbst große Physiker angesichts der Ergeb-
nisse waren und dass damals Geschichte
der Quantentheorie geschrieben wurde.
Auch Stern und Gerlach wussten auf die
Frage, wer für das magnetische Moment
verantwortlich ist, keine Antwort. Heute
beschreiben praktisch alle Lehrbücher die
Stern-Gerlach-Aufspaltung als Nachweis
des Elektronenspins ohne klarzustellen,
dass die Experimentatoren keine Ahnung
hatten, dass sie den Spin entdeckt hatten.
Sie hatten quasi den Wald vor lauter Bäu-
men nicht gesehen.
Der inzwischen schon ein Viertel Jahrhun-
dert alte Zeeman-Effekt bereitete immer
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