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Kernphysikalische Forschung in
Hamburg unter dem Damoklesschwert
des Nationalsozialismus
1932 wurden etwa gleichzeitig Deuterium
und das Neutron entdeckt, was natürlich
die "Scientifique Community" zur Bestim-
mung von deren Eigenschaften heraus-
fordert. Es sei daran erinnert, dass bereits
1919 Stern zusammen mit seinem Kollegen
Volmer der Frage nachgegangen waren, ob
die Atommasse von Wasserstoff nicht mit
einem Isotopengemisch der Massen 1 und
2 zu erklären sei.
Da in Deutschland kein schweres Wasser
zugänglich war, erhielten die Hamburger
Forscher 0,5 ml 85%iges D
2
O von G. N.
Lewis, von der University of California in
Berkeley. Für das Deuteron d = p + n, damals
noch Deuton genannt, hatten optische
Messungen einen Kernspin von I = 1 wahr-
scheinlich gemacht. Die in Hamburg meist
bis spät in die Nacht durchgeführten Expe-
rimente ergaben wegen der Beimischung
von HD und H
2
und wegen der auch hier
wieder auftretenden Kernspin-Problematik
keine sehr genauen Ergebnisse, ließen aber
für das magnetische Moment des Deute-
rons einen viel kleineren Wert als für den
gewöhnlichen Wasserstoff schließen. Das
Ergebnis wurde von Estermann und Stern
am 19. August 1933 unter dem Titel
"Über
die magnetische Ablenkung von isotopen
Wasserstoffmolekülen und das magnetische
Moment des Deuterons“
als Vorläufige
Mitteilung als U.z.M. (Untersuchungen zur
Molekularstrahlmethode aus dem Institut
für physikalische Chemie der Hamburgi-
schen Universität) Nr. 29 in der Z. Physik
veröffentlicht. In Pittsburgh wurde das Ex-
periment wiederholt und auf ein Moment
von 0,8 bis 0,9
P
N
geschlossen.
Die Erklärung war, dass das Neutron ein
dem Proton entgegengesetztes magneti-
sches Moment von etwa -1,6
P
N
besitzen
musste. Der heute gültige Wert liegt bei
-1,9130427
P
N
.
Kurz vor demVerlassen von Hamburg
gelang O. R. Frisch, den Photonen-Rückstoß
an einem Natrium-Atomstrahl mit Hilfe der
Frequenzverschiebung zwischen Absorpti-
on und Emission nachzuweisen.
Die Veröffentlichung schließt mit dem
Satz:
„Es wäre zweifellos möglich gewesen,
durch genauere Messungen …… wesentlich
sauberere und einwandfreiere Ergebnisse
zu erhalten, doch mußten die Versuche aus
äußeren Gründen vorzeitig abgebrochen
werden.“
Wenige Wochen nach Beendigung der
Ablenkungsversuche im hamburger Labo-
ratoriummussten die meisten Mitarbeiter
dasselbe verlassen.
Abwicklung in Hamburg
Die Wandlung Deutschlands Anfang 1933
läßt sich stichwortartig wie folgt charakte-
risieren:
30.Jan. 1933 Hitler wird Reichskanzler
7. April 1933 Gesetz zur Wiederherstellung
des Berufsbeamtentums (er-
möglicht Entlassung politisch
missliebiger und „nicht-
arischer“ Beamter)
10. Mai 1933 Bücherverbrennungen
14. Juli 1933 Verbot aller Parteien mit
Ausnahme der NSDAP
Die Machtübernahme durch die Nazis führ-
te bald – wenn auch ein wenig langsamer
als im übrigen Reichsgebiet – in der jetzt
"Hansischen Universität" zu personellen,
später auch zu materiellen Kosequenzen.
An der Mathematisch-Naturwissenschaft-
lichen Fakultät in Hamburg traten Juli 1933
folgende Ereignisse ein:
x
dem theoretischen Physiker Prof. Walter
Gordon wird gekündigt,
x
Sterns Mitarbeitern Estermann, Frisch
und Schnurmann wird gekündigt und die
Lehrbefugnis entzogen,
x
dem Atom- und Astrophysiker Prof.
Rudolf Minkowski wird die Lehrbefugnis
entzogen,
x
Stern wird aufgefordert, das Bild seines
Lehrers Einstein aus seinem Arbeitszim-
mer zu entfernen.
Stern war ein aufmerksamer Beobachter
der politischen Landschaft und eifriger Zei-
tungsleser. Die unaufhaltsame Verschlech-
terung der universitären Atmosphäre war
nicht mehr zu leugnen.
Stern als Weltkriegsteilnehmer war von
den Nürnberger Gesetzen ausgenommen.
Während an anderen Universitäten die
Terminierung zum sofortigen Berufsver-
bot führte, entschieden die mit einem
gesunden Geschäftssinn ausgestatteten
Hamburger Behörden, dass die Mitarbeiter
ihre Arbeit solange fortsetzen durften,
solange sie ihr Gehalt erhielten. Allerdings
wurde diese Entscheidung weniger wegen
der Forschung als vielmehr wegen der auf-
rechtzuerhaltenden Lehre getroffen.
Stern richtete am 2. Mai 1933 an den
Dekan das folgende Schreiben:
"Ew. Spektabilität
beehre ich mich zu bestätigen, dass ich im
Einverständnis und nach Rücksprache mit
Ew. Spektabilität selbst, der Hochschulbehör-
de und Herrn Prof. Dr. P. Rabe die Vorlesung
No 731 (Physikalische Chemie III. Teil) ausfal-
len lasse.
Ew. Spektabilität ergebenster
O. Stern"
Aus Zürich folgte am 30. Juni ein Brief mit
dem Inhalt:
"An die Landesschulbehörde
Abteilung Hochschulwesen
z. Hd. Von Herrn Prof. Dr. Rein
Hierduch bestätige ich der Landesschulbe-
hörde meine telegraphisch ausgesprochene
Bitte, mich zum 1. Oktober 1933 aus dem
Staatsdienst zu entlassen.
Ich sehe mich durch die Ereignisse der letzten
Zeit zu diesem für mich äußerst schmerzli-
chen Schritte genötigt.
Falls die Landesschulbehörde eine nähere
Begründung wünscht, stehe ich hierfür nach
meiner voraussichtlich am Dienstag, d. 4.
VII. 1933 erfolgenden Rückkehr von dem
Kongress zur Verfügung.
Otto Stern
Professor für physikalische Chemie"
Auf der 209. Sitzung der Mathematisch-
Naturwissenschaftlichen Fakultät der
Universität Hamburg vom 12. Juli 1933
standen neben anderem drei Punkte der
Tagesordnung
x
Probevorlesung nebst Kolloquium
Dr. Knauer,
x
Entlassung des nichtbeamteten ao.
Professors für Physik Walter Gordon,
x
Wahl eines Berufungsausschusses für
die Nachfolge Prof. Otto Stern.
Die Habilitation von Dr. Knauer, der sich ein
wenig mit dem Zeitgeist eingelassen hatte,
verlief problemlos und ihm wurde die
venia
legendi
für Physik zuerkannt.
Zum Abschluss heißt es lapidar:
"Der Herr Dekan hat es übernommen, Herrn
Stern für die der Fakultät geleisteten Arbei-
ten und Verdienste mündlich zu danken.“